Derzeit (Herbst 2023) häufen sich Meldungen von Betrieben mit extrem tiefen Milchfettgehalten. Einige Milchviehherden weisen nicht einmal mehr 3.0% Fett auf. Was sind die Ursachen und was kann man dagegen tun?

Immer wieder wird unter Landwirten das Thema Stroh in Milchviehrationen heiss diskutiert. Während die einen auf die positiven Effekte des Strohs nicht mehr verzichten möchten, verteufeln es andere aufgrund von schlechten Erfahrungen, die gemacht wurden. Gesunde Milchviehherden weisen durchschnittliche Fettgehalte von 3.6 bis 4.5% auf. Darunter weisen die Kühe grundsätzlich auf eine Pansenfermentationsstörung hin – in der Regel denkt man da als erstes an die Pansenazidose. Liegt der Schnitt über 5.0% Fett, sind Kühe in der Herde, welche entweder stark Körperfett abbauen (Ketose) oder am Körperfett aufbauen sind (Verfettung Ende Laktation). So viel ist hinlänglich bekannt. Aktuell häufen sich aber Berichte, wonach die Fettgehalte gar unter 3.0% gefallen sind. Die typischen Symptome der Pansenazidose wie z.B. dünner Kot mit langen Faserresten bleiben jedoch aus. Weshalb?
Gestörte Pansenabläufe
Für den Aufbau von Milchfett im Euter wird in erster Linie Essigsäure (Acetat) benötigt. Dies wird bei gesunden Tieren von den Mikroorganismen im Pansen beim Abbau von Fasern (Zellwänden) hergestellt. Es gibt verschiedene Ursachen, warum bei tiefen Milchfettgehalten diese Mikroorganismen nicht richtig ihre Arbeit verrichten können. Der bekannteste Grund ist sicherlich die Pansenazidose. Der dauerhaft zu tiefe pH im Pansensaft verunmöglicht ein Überleben der auf Zellwändeabbau spezialisierten Bakterien. Als Folge wird zu wenig Acetat im Pansen gebildet. Laktatbildende Bakterien nehmen Oberhand. Landwirte sind geschult, die Symptome der Pansenazidose rechtzeitig zu erkennen und angebrachte Gegenmassnahmen einzuleiten.
Weniger offensichtlich ist die subakute Pansenazidose. Denn auch ein zeitlich begrenzter Abfall des Pansen-pHs durch z.B. unregelmässiges Fressen, falsches Fütterungsregime, Hitzestress oder ausbleibendes Wiederkauen schränken die acetatbildenden Mikroorganismen in ihrer Vermehrung ein. Die klassischen Symptome der Pansenübersäuerung sind nur zeitlich begrenzt oder gar nur schwach zu erkennen. Indem man dafür sorgt, dass der Pansen-pH möglichst wenig schwankt – beispielsweise durch den Einsatz eines Pansenpuffers – kann man die negativen Folgen meist abfedern. Wirksamer wäre es jedoch, die Ursache der pH-Schwankung zu beseitigen (siehe Kasten).
Eher selten denkt man an die Pansenalkalose. Sie ist quasi das Gegenteil zur Pansenazidose. Sie liegt vor, wenn der Pansen-pH über 6.8 ist und gilt auch als Pansenfermentationsstörung. Das Milieu ist zu basisch aufgrund zu grossen Mengen Pansenpuffer wie Natriumbikarbonat oder anderen basisch wirkenden Substanzen. Bei Kalium ist bekannt, dass es einen alkalischen / basischen Effekt auf den Pansen-pH hat. Ebenfalls bei Stickstoffverbindungen wie Proteinen oder Ammoniak. Auch ein zu hoher Rohascheanteil in der Ration kann eine Pansenalkalose verursachen. All diese Ursachen können derart tiefe Fettgehalte als Folge haben.
Mögliche Ursachen für zu tiefe Fettgehalte in der Milch:
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Unterschätzter Faktor Verdaulichkeit
Manchmal genügen solche Erklärungs- und Bekämpfungsversuche nicht immer. Es gibt Fälle, da stellt der Landwirt keine passenden Begleitsymptome wie dünnflüssiger Kot oder struppiges Fell fest, bzw. dann wüsste er ja, woran es läge. Wenn das primäre Problem nicht die Mikroorganismen im Pansen sind, muss man zwingend die Fasern genauer unter die Lupe nehmen, oder besser gesagt deren Verdaulichkeit. Sie ist die andere wichtige Komponente bei der Produktion von Essigsäure im Pansen. Klarheit bringt nur eine Laboranalyse. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Verdaulichkeit der Zellwände anzugeben. Beim amerikanischen CNCPS-System besteht die Möglichkeit, die Kohlenhydrate in A1, A2, A3, A4 (schnell verfügbare KH), B1, B2, B3 (langsam verfügbare KH) und C (unverdauliche KH) zu unterteilen. Je mehr in Richtung C vorhanden ist, desto unverdaulicher ist das Futter. Eine andere Möglichkeit besteht in der Bestimmung der Ligninmenge (ADL). Beide Möglichkeiten müssen explizit in Auftrag gegeben werden und gehören nicht zur Standardanalyse. Einfach und günstig ist die Bestimmung der ADF-Menge. Anhand dieser kann in etwa abgeschätzt werden, wie gut die Verdaulichkeit des Futters ist.
Das Futterbaujahr 2023 ist diesbezüglich ein sehr schwieriges Jahr. Der 1. Schnitt konnte oftmals erst sehr spät geerntet werden. Bereits nach dem Mähen konnte man am Mähwerk beobachten, dass irgendetwas speziell ist. An den Trommeln und Klingen befand sich eine hartnäckige Kruste. Woher stammte diese? Aufgrund der anhaltenden Nässe versuchte sich das Gras mithilfe einer schützenden Wachsschicht, sich gegenüber Pilzbefall zur Wehr zu setzen. Dieses Wachs, bzw. Fett, umgibt den Grashalm auch nach der Konservierung und gelangt in den Pansen. Die Mikroorganismen, welche auf den Abbau der Fasern spezialisiert wären, können ihre Arbeit jedoch nicht verrichten, da der Grashalm von dieser Wachsschicht ummantelt ist. Es kann keine Essigsäure produziert werden. Ein Teil der Wachsschicht ist gar pansenlöslich, was die Mikroorganismen im Pansen erst recht nicht mögen. Auch die Folgeschnitte waren zum Teil stark verholzt, da sich die Graspflanze vor der Hitze schützen musste.
Lösungsansätze
Nun gilt es, im Winter 2023/24 mit den konservierten Futtermitteln das Beste herauszuholen. Man muss mit dem arbeiten, was man hat. Auf dem Markt sind diverse Produkte erhältlich, welche den Faserabbau im Pansen unterstützen sollen. Meist sind sie auf Hefen (Pilze) oder Pilzabbauprodukte basiert. Obwohl man sich immer fragen muss, ob sich ein «Wunderpülverli» lohnt oder nicht, können sich solche Produkte heuer eher bezahlt machen als in Jahren, in denen man Top-Grundfutter hat. Effizient bringt man Hefen über die Mineralstoffmischung in die Kuh.
Kurz gelesen:
Für die Milchfettbildung benötigt es produktive faserabbauende Mikroorganismen im Pansen, die Essigsäure liefern.
Bei zu tiefen Fettgehalten muss man sich fragen, ob die Mikroorganismen schlechte Bedingungen vorfinden oder ob die Fasern sehr schlecht verdaulich sind.
Begleitsymptome an der Kuh und Laboranalysen helfen, den Ursachen auf den Grund zu kommen und auszuschalten.
Pirmin Zürcher
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